Nicht nur sauber, sondern rein soll es sein, sagt die Werbung. Doch was, wenn der Hautpilz an ganz unerwarteter Stelle lauert und der Wischmopp die Keime bloß verteilt? Und vor allem: Wie viel Reinheit ist überhaupt noch gesund?
Um das Thema Hygiene ranken sich so viele Irrtümer und Mythen, dass es Zeit wird, jetzt und gleich mit einigen aufzuräumen.
1. Mythos: „Desinfektionsmittel sind hygienisch.“
So eindeutig ist das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) selten: „Desinfektionsmittel gehören ins Krankenhaus und nicht in den Haushalt.“ Sämtliche Studien, die nur einigermaßen seriös sind, kommen zu dem Ergebnis, dass Sagrotan & Co. keinen positiven Effekt auf die Alltagshygiene haben. Im Gegenteil: Sie belasten die Umwelt, begünstigen die Ausbreitung resistenter Erreger und schädigen die mikrobielle Schutzschicht unserer Haut, was diese wiederum für Bakterien, Viren und Parasiten durchlässiger macht.
„Wägt man Nutzen und Risiko von Desinfektionsmitteln gegeneinander ab, überwiegen ganz klar die Risiken“, warnt Ralf Dieckmann vom BfR. Keime sind Teil unseres natürlichen Lebensraums. Wenn Hygiene bedeutet, Gesundheitsrisiken zu vermeiden, dann hat ein keimfreier Haushalt damit nur wenig zu tun. Die Sachverständigen raten vielmehr zu einfachen Reinigungsmitteln, einem häufigen Wechsel der Putzlappen und vor allem zu regelmäßigem Händewaschen.
2. Mythos: „Heruntergefallenes ist nach 3 Sekunden noch genießbar.“
Die berühmte 3-Sekunden-Regel stimmt sogar ein wenig. Denn in einer normal sauberen Umgebung ist die Wahrscheinlichkeit, krank zu werden, wenn man eine auf den Boden gefallene Nudel isst, äußerst gering – doch ist es egal, ob sie dort 3 Sekunden oder 10 Minuten lag.
Hingegen kann die Angst, Kleinkinder könnten sich anstecken, wenn sie sich heruntergefallene Dinge in den Mund stecken, sogar zum Problem werden. Mediziner gehen heutzutage davon aus, dass das Immunsystem in den ersten Lebensjahren den Kontakt mit Keimen braucht, um sich entwickeln zu können. Die steigende Anfälligkeit für Allergien wird nicht zuletzt auf ein Zuviel an Sauberkeit zurückgeführt. Selbstverständlich bleibt es wichtig, Schnuller und Fläschchen von Babys regelmäßig bei mindestens 65 °C auszuspülen. Sogenannte „Immer-sauber-Schnuller“ sind aber nicht nötig, da das Problematische nämlich die Milch- und Essensreste am Sauger sind und nicht die Keime auf dem Boden.
3. Mythos: „Handtrockner sind besser als Papiertücher.“
Ein Großteil der Studien, die vor Keimbedrohungen warnen, wurde von der Industrie finanziert. Das trifft auch auf die Frage zu, ob auf öffentlichen Toiletten Händetrockner mit Heißluft, mit Druckluft oder doch die klassischen Papierhandtücher hygienischer sind. Die Zeichen deuten jedoch stark in Richtung Papierhandtuch – das schnitt selbst in einer Studie der Händetrockner-Firma Dyson Airblade besser ab als sämtliche Luftgebläse.
4. Mythos: „Mit heißem Wasser wird es sauberer.“
Die meisten Allzweckreiniger sind Kaltwasserreiniger. Mischt man sie mit zu heißem Wasser, geht ihre Reinigungskraft verloren. Vor allem der Alkohol, der die Bakterienkonzentration minimieren soll, verdampft einfach.
5. Mythos: „Seife tötet Bakterien ab.“
Seife tötet Bakterien zwar nicht, aber sie hilft, sie abzuwaschen – und zwar gründlich! Forscher der Uni Regensburg haben herausgefunden, dass 30 Sekunden Händewaschen mit Flüssigseife Bakterien und Keime zu 99,9 % wegspült. Antibakterielle Seife ist somit überflüssig.
6. Mythos: „Intimpflege braucht besondere Produkte.“
Mann und Frau sehen untenrum nicht nur unterschiedlich aus, sie gehen auch mit dem Thema Intimhygiene unterschiedlich um. Jeder zweite Mann säubert sich den Bereich unter der Vorhaut nicht ausreichend oder wechselt zu selten die Unterwäsche. Das erhöht nicht nur die Gefahr von Pilzinfektionen, sondern auch von Geschlechtskrankheiten wie Trichomonaden und Chlamydien. Von diesen merkt der Mann kaum etwas, bei der Partnerin lösen sie jedoch schmerzhafte Symptome aus.
Allerdings schlagen sie Ärzte auch bei der Damenhygiene Alarm. So verspricht eine ganze Reihe von Intimwaschlotionen und Spezialduschen eine „optimale Vaginalpflege“. Diese Mittel führen aber bloß zu einer vermehrten Infektion mit Bakterien und Pilzen, da sie die natürliche Scheidenflora stören. „Es handelt sich um eine Schleimhaut wie im Mund. Da gibt man ja auch keine Creme drauf“, erklärt Dr. Wallwiener von der Universitätsklinik München. Wasser ist für die äußere Intimpflege völlig ausreichend.
7. Mythos: „Keimfrei dank Tiefkühltruhe.“
Der Chef von Levi Strauss & Co. hat es propagiert: Wascht eure Jeanshosen nicht! Wenn sie zu stinken anfangen, solle man sie stattdessen einfach ins Gefrierfach legen. Dumm nur, dass Bakterien, Viren und Parasiten bei -18 °C allenfalls in eine Art Winterschlaf fallen. Kaum wärmt sich der Stoff auf, vermehren sie sich genauso weiter wie zuvor.
8. Mythos: „Plastik ist in der Küche hygienischer als Holz.“
In Sachen Hygiene macht es kaum einen Unterschied, ob Küchenutensilien und Schneidebretter aus Plastik oder Holz sind. Das Praktische an Plastik ist natürlich, dass man es in die Spülmaschine tun kann. Überraschenderweise ist der Abwasch per Hand aber nicht per se unhygienischer als derjenige mit Spülmaschine – um Krankheitserreger abzutöten, muss er hier wie dort bei über 60 °C erfolgen. Schneidebretter aus Bambus sollen sogar von Natur aus antibakterielle Eigenschaften haben.
9. Mythos: „Haustiere stärken das Immunsystem.“
Für viele Menschen gehören Haustiere zur Familie. Da wird gekuschelt, geschmust und übers Gesicht geschleckt. War es nicht so, dass Stalltiere und Bauernhofdreck das Immunsystem anregen? Ganz so einfach ist es leider nicht. Denn Haustiere tragen nicht selten Krankheitserreger in sich, die für Kinder und Menschen mit geschwächtem Immunsystem gefährlich werden können. Dem Robert-Koch-Institut zufolge erleiden in Deutschland jährlich mehr als 4.000 Schwangere eine durch Katzen übertragene Toxoplasmose. Über 300 Babys kommen mit teils schwerwiegenden Folgen dieser Krankheit zur Welt. Zudem erhöhen Katzen und Hunde das Borreliose-Risiko. In Haushalten mit Reptilien ist die Gefahr schwerer Durchfallerkrankungen bei Kindern deutlich größer. Küssen ist aus Ärztesicht folglich verboten und nach dem Streicheln sollten stets die Hände gewaschen werden. Dann können Tiere tatsächlich helfen, Seele und Körper gesund zu halten.
10. Mythos: „In öffentlichen Verkehrsmitteln sollte man nichts anfassen.“
Wo sich viele Menschen tummeln, haben Krankheitserreger leichtes Spiel. Pendler, die sich tagtäglich in vollgestopfte Busse und Bahnen zwängen müssen, fangen sich schnell einen Infekt ein. Hilft es da, die Griffe, Handläufe und Türöffner so wenig wie möglich zu berühren? Leider nein. „Die Ansteckungsgefahr durch bloßes Anfassen von Gegenständen ist gleich null“, so ein Hygieniker des Instituts für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene. Auf glatten Oberflächen überleben Erkältungsviren nämlich nur kurz. Niest aber jemand, ohne die Armbeuge vor den Mund zu halten, verteilt sich in nur 200 Millisekunden eine Tröpfchenwolke bis zu 2,5 Meter weit. Je schleimiger, desto weiter.
Die Entdeckung der Hygiene war ein enormer Fortschritt in der Medizin. Doch, wie so oft, hat auch dieses Kapitel zwei Seiten: Der gezielt geschürte Reinheitswahn in den Haushalten kann in eine Gefährdung von Umwelt und Gesundheit umschlagen. Die wichtigste Hygieneregel ist ohnehin das Händewaschen. Hierfür sollte man sich ausreichend Zeit nehmen, dann erhöht man die Wahrscheinlichkeit, gesund durch den Winter zu kommen, um satte 50 %. Was man darüber hinaus noch im Alltag für seine Gesundheit tun kann, erklärt dir dieser Beitrag.