Eltern machen sich von Natur aus Sorgen. Der ersten Frage – „Ist mein Kind gesund?“ – folgt gleich die nächste: „Ist mein Kind normal?“ Spielen, lachen, in Dreckpfützen springen – so stellt man sich Kinder vor. Wenn ein Kind davon abweicht und sich scheinbar „unkindlich“ verhält, verunsichert das viele Eltern.
Wenn das Kind nur selten lacht, keine Freunde hat, sich vor Matsch ekelt oder nur ungern kuschelt, muss dahinter aber nicht gleich eine Verhaltensstörung oder ein psychisches Problem stecken. Zahlreiche Verhaltensauffälligkeiten sind schlicht auf charakterliche Eigenheiten oder bestimmte Entwicklungsphasen des Kindes zurückzuführen.
Diese sollten Eltern verstehen, um richtig auf ihr Kind einzugehen. Mit Verständnis ist Kindern nämlich oft am besten geholfen.

IST MEIN KIND NORMAL?
Kinder sind unterschiedlich. Nicht jede Abweichung vom gewohnten Bild ist gleich problematisch. Sicherlich ist es gut, Entwicklungs- und Verhaltensstörungen möglichst frühzeitig zu behandeln. Zugleich warnen aber die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie, die Deutsche Gesellschaft für Allgemeine und Ambulante Pädiatrie sowie der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte vor einer zunehmenden Übertherapierung von Kindern.
Allzu schnell würden Kinder zur Ergotherapie oder zum Kinderpsychologen geschickt. Dies könne dazu führen, dass sich im Kind die Vorstellung verfestige, dass mit ihm etwas nicht stimme. Das unbeschwerte und eigenständige Sammeln von Erfahrungen werde damit gehemmt.

Etwas mehr Gelassenheit im Umgang mit kindlichen Eigenheiten tut also gut – selbst wenn diese zunächst unkindlich erscheinen. Auf diese Weise können Eltern auf die wirklichen Bedürfnisse des Kindes eingehen.
6 NUR SCHEINBAR UNKINDLICHE VERHALTENSWEISEN
1. Kind lacht nie
Vor allem bei Babys lässt das erste Lachen oft monatelang auf sich warten. Aber auch unter älteren Kindern gibt es „Selten-Lacher“. Gerade introvertierte Kinder beobachten viel und verarbeiten äußere Eindrücke still für sich. Das heißt nicht, dass sie weniger Spaß haben, sie zeigen es nur anders.
Die größten Stärken introvertierter Menschen liegen in einer ausgeprägten Fantasie, in analytischem Denken, Konzentrationsstärke und geistiger Unabhängigkeit. Introvertierte Kinder brauchen Rückzugsmöglichkeiten, aber auch Bestätigung und Rückhalt durch die Eltern. Dann muss man sich keine Sorgen machen.
2. Kind hasst Matsch
Kinder begreifen die Welt über die Sinne. Im Dreck zu matschen, ist somit eine wichtige Erfahrung. Aber nicht für jeden. Für hochsensible Kinder sind unbekannte und extreme Reize in erster Linie unangenehm. Ekelt sich das Kind vor Matsch, sollte das akzeptiert werden. Immerhin nehmen Hochsensible viel mehr Feinheiten wahr.
Hochsensible Kinder sind von äußeren Reizen schnell überfordert. Sie brauchen eine ruhige Umgebung, klare Strukturen und vor allem Zeit, um sich auf Neues einzulassen. Dann verschwindet die übertriebene Abwehr irgendwann von selbst.
3. Kind hat keine Freunde
Niemand möchte, dass das eigene Kind ein Außenseiter ist. Doch dass sich manche Kinder schwer damit tun, Freundschaften zu knüpfen, ist ganz normal. So haben schüchterne Kinder Angst vor Ablehnung. Sie stehen nicht gern im Mittelpunkt. Gleichzeitig sind sie fähig, bereits kleine freundliche Gesten wertzuschätzen. Dadurch entstehen manchmal stille Freundschaften, die Eltern und Erzieher kaum wahrnehmen.
Introvertierte Kinder finden es wiederum anstrengend, wenn sie lange mit anderen Menschen zusammen sind. Sie sind sich selbst genug und suchen sich ihre Freunde lieber genau aus – ganz nach dem Motto: Weniger ist mehr.
4. Kind kuschelt nicht
„Kinder brauchen Nähe“, „Kuscheln ist Beziehungsarbeit“ – solche Sätze liest man in zahlreichen Ratgebern. Die Wirklichkeit zeigt aber, dass das Bedürfnis nach Körperkontakt ganz unterschiedlich ausgeprägt ist. Das geht auch Erwachsenen so und muss nicht gleich eine Körperkontaktblockierung sein.
Oft zeichnen sich „Nicht-Kuschler“ durch eine innere Anspannung aus: Sie haben einen starken Bewegungsdrang oder neigen zum Perfektionismus. Wichtig ist, ihre Abwehr von körperlicher Nähe nicht als Zeichen von Ablehnung zu deuten, sondern die Kinder so zu akzeptieren, wie sie sind. Hin und wieder werden sich kurze Momente ergeben, in denen das Kind Berührungen durch Mama und Papa zulässt und genießt.
5. Kind hat Gewaltfantasien
Die geköpfte Puppe liegt auf dem Boden und wird wüst beschimpft. Stimmt etwas nicht mit einem Kind, das so etwas tut? Nein. Gewaltfantasien müssen nicht unbedingt auf psychische Probleme oder Traumata hinweisen. Sie gehören ganz normal zum Spielen dazu.
Spielen ist für Kinder nämlich nicht nur Spaß. Im Spiel testen Kinder Gefühle und Gedanken aus. Sie können unterdrückte Verhaltensweisen ausprobieren, Ängste bekämpfen und Wut ausleben. Solange das Kind weder sich noch andere gefährdet, sollten Eltern vor so einem Benehmen nicht erschrecken.
6. Kind ist altklug
Besserwisserische Kinder sind anstrengend. Ständig wird das eigene Wissen ausgestellt und nur die eigene Meinung zählt. Die einen Eltern halten ihren Schlaumeier für hochbegabt, die anderen fürchten um seine sozialen Kontakte. Doch beides ist in der Regel unbegründet.
Hochbegabte zeigen ihr Wissen zwar auch gern, sie sind aber auch in besonderer Weise wissbegierig und hören zu. Auf der anderen Seite scheinen Kinder mit Klugscheißern weit weniger Probleme zu haben als Erwachsene. Eltern sollten also lieber gelassen bleiben und sich selbst an die Nase fassen – Kinder gucken sich ihre Besserwisserei nämlich meist von Mama oder Papa ab.
HANDLUNGSBEDARF
Bei alledem darf natürlich nicht verschwiegen werden, dass es durchaus problematische Verhaltensweisen gibt, die professioneller Hilfe bedürfen. Handlungsbedarf besteht zum Beispiel, wenn das Verhalten
- die Beziehung zu Eltern, Erziehern oder Freunden stark belastet,
- das Selbstwertgefühl beeinträchtigt,
- der eigenständigen Entwicklung des Kindes im Wege steht oder
- das Kind Probleme hat, sich in sein Umfeld (Kindergarten, Schule, Verein) einzufügen.
Der richtige Ansprechpartner bei entsprechenden Befürchtungen ist der Kinderarzt oder die Familienberatungsstelle. Von Therapien auf Eigeninitiative – ohne gründliche Voruntersuchung – sollte hingegen abgesehen werden.
FAZIT
Es gab eine Zeit, in der fast jedes Kind eine Zahnspange bekam. Inzwischen hat man erkannt, dass nicht jeder schiefe Zahn ein medizinisches Problem darstellt. Ähnlich verhält es sich mit vermeintlichen Verhaltensauffälligkeiten. In den meisten Fällen sind diese lediglich Eigenheiten, die zur Persönlichkeit oder Lebensphase des Kindes dazugehören. Diese Kinder fördert man am besten, indem man auf ihre Bedürfnisse eingeht, anstatt sie zurechtbiegen zu wollen.
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Quellen: familienergo, familie
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